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Grauer November

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November überall: Auf dem Kalender, im Viertel, im Jahr, in der Seele. Ein Schleier aus Grau über allem. Das Leben biegt wieder in die schlammigen, kurzen Wege ein, auf denen es schon im letzten Herbst seine Kreise zog. Damals, als wir dachten, dass wir alle jetzt durch diesen Winter müssen, dass wir das hinter uns bringen und die Welt im nächsten Jahr wieder anders aussieht. Aber vielleicht bleibt es immer beim jeweils nächsten Jahr… Dies sind schwierige Tage, um Optimismus zu lernen. Weder mit der allgemeinen Situation noch mit der Art und Weise, wie wir als Land, als Gesellschaft imstande und willens sind, diese zu meistern.

Es sind merkwürdige Tage. Würde man sich die Mühe nehmen und aufschreiben, was augenscheinlich in den letzten fast zwei Jahren mehr oder weniger offensichtlich schief gelaufen ist oder scheint, wer an welchen Ecken und Enden versagt hat, wer darin scheiterte, die Gegebenheiten ernst zu nehmen, wirkungsvolle Maßnahmen an- und umzusetzen, deren Notwendigkeit vernünftig und konsistent zu kommunizieren und die aber letzten Endes auch zu akzeptieren, als Gebot aus Rücksicht, Empathie und der Notwendigkeit des Zusammenhalts in schwierigen Zeiten – die Liste würde sehr lang. Der Akt des Schreibens würde sehr frustrierend. Das Ergebnis wäre ein weiterer wütender Text in Zeiten, in denen gerade kein Mangel an zornigen Brandbriefen und Positionsbekundungen aus allen Richtungen herrscht. Es würde nichts verändern, nichts verbessern, keinem helfen.

Also bleibt eine schwere, graue Resignation. Es bleibt wieder das gute Stück Dankbarkeit, im Heim-Büro weitermachen, Selbst-Isolation üben zu können, ohne daran psychisch oder wirtschaftlich auf der Strecke zu bleiben. Und es bleiben viele Gedanken an jene, für die das nicht funktioniert. An chronisch Erkrankte, die sich nicht mal über Impfungen selbst schützen können und vollständig auf die Rücksicht der Menschen um sie herum angewiesen sind, oder auf Isolation und potentiell Einsamkeit. An Menschen in Pflegeberufen, die wieder am Limit arbeiten, jetzt, wie noch mehr als in den Hochzeiten des vorigen Jahres, aber in 2021 gibt es nicht einmal mehr Applaus. An Lehrer und Schüler, die weiter in unklarem Rahmen und unter besonders hohen Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen in einem merkwürdigen “Regelbetrieb” weitermachen dürfen, weil es besser auch in diesem Jahr wohl nicht geht – und an die Kinder, deren Leben auf die Probe gestellt wird, müssten sie erneut in einen Lockdown und Homeschooling in einem Umfeld, das ihnen nicht hilft, nicht gut tut. An Gastronomen, Barkeeper, Club-Betreiber und Schausteller, die durch die erneuten Schließungen “unwichtiger” Betriebe, durch die Absagen von Weihnachtsmärkten und -feiern einmal mehr an den Rande ihrer Möglichkeiten und Existenz gedrängt werden, ohne wirkliche Vorwarnzeit und (bislang) sinnvolle Kompensation. An Kulturschaffende, Bühnenmusiker, Schauspieler, Theaterkünstler, all jene, deren Wirken für die Vielfalt, die Identität, das Selbstverständnis kulturbewusster Stadtmenschen so wichtig ist und die trotzdem auch unter Normalbedingungen immer durch alle sozialen und wirtschaftlichen Raster fallen. Und natürlich an die direkt und indirekt Betroffenen, die Erkrankten, die Angehörigen und Freunde. Es bleiben Mitgefühl, Verständnis, Bedauern – die alle auch letztlich nicht viel bewirken. Es bleibt Hilflosigkeit.

Es sind bedrückende Tage. Man möchte das seit zwei Jahren immer gleiche Thema ausblenden, vergessen, wieder loswerden, zurück zu einer relativen Unbeschwertheit der Monate davor (oder allem, was einem in dieser Zeit unbeschwert erschien, oder dem, was damals tatsächlich unbeschwert war, ohne dass man es so wahrgenommen hätte). So bleibt man im kleinen Radius, auf abgegrenzten bekannten Wegen, hält sich zurück und hofft, für alle anderen, für die Herzensmenschen im Umfeld, für sich. Auf den Frühling. Auf neue Sonne. Oder zumindest auf richtigen Winter und Schnee. Auf mehr Miteinander in Zeiten, in denen es das mehr als alles andere überhaupt bräuchte. Und hoffen darf man ja wohl noch.
Passt auf Euch, auf einander auf.