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Google Now und das Private?

“’20 Minuten mehr bis nach Hause, Stau.’ – Wat?!” Mein Erstkontakt mit Google Now liegt jetzt schon eine ganze Weile zurück. Nach wie vor nutze ich die App bestenfalls sporadisch und aus Neugier, aber gedanklich treibt mich das Thema immer noch um. Ich nutze seit vielen Jahren Technologie mit einer Mischung aus Begeisterung und Selbstverständlichkeit. Vor meinem fachlichen Hintergrund bin ich ebenso selbstverständlich skeptisch, was die große Datensammlungen an einigen wenigen Stellen betrifft, insofern begegne ich auch Google seit einer Weile mit einer gewissen Skepsis. Meine Standardsuchmaschine ist DuckDuckGo, auch schon seit einer Weile und auch, weil mir die optische Erscheinung mehr zusagt als bei Google – dunkles Theme for the win! Meine Kontakte und Termine liegen größtenteils in privaten oder dienstlichen ownCloud-Installationen, und Google Mail nutze ich nur für unkritische Dinge wie Newsletter oder Mailing-Lists, während Post ab einer gewissen “Privatheit” andernorts aufschlägt. Ich nutze Google-Dienste gern, aber ich muß nicht alles dort haben, ich habe für mich Grenzen über die Dinge gezogen, die ich dort sehen möchte, aber das ist ein individuelles Thema auch in der Abwägung “Privacy” vs. “Post-Privacy”.

Wo kommt jetzt Google Now ins Spiel? Für die, die’s nicht kennen: Im Wesentlichen ist Google Now der Versuch, Informationen möglichst kontextualisiert so aufzubereiten, daß die für den Nutzer wichtige Dinge schnell erreichbar machen. Einstiegspunkt sind die üblichen Verdächtigen: Börsenkurse für bestimmte (wählbare Unternehmen), Fußball-Ergebnisse und das Wetter. Geschenkt, da (bis auf das Wetter) uninteressant. Und zudem auch irgendwie langweilig – außer der Visualisierung ist dort nix besser, als es sich etwa mit einem Newsfeed abbilden läßt.

Aber das ist auch nur der Einstieg. Oben umrissener Satz (“20 Minuten mehr bis nach Hause”) erschien eines Tages in Google Now in einer separaten Karte. Zwar war Googles Verständnis von “zu Hause” aus Gründen nicht vollständig korrekt, aber dort wird es trotzdem interessanter: An dieser Stelle sind es nicht mehr (siehe Fußball-Ergebnisse) nur weitestgehend öffentliche Informationen, die visuell aufgehübscht dargestellt werden. An dieser Stelle entsteht der “Aha-Effekt” aus der Verknüpfung eines aktuellen Kontexts (konkret: meiner gegenwärtigen Position), öffentlichen Informationen (Verkehrsnachrichten) und privaten Informationen (meiner Adresse) zu einer Information, die mir annahmeweise in meiner gegenwärtigen Situation weiterhelfen könnte.

Auf dem nachmittäglichen Weg nach Hause hat solcherlei Information keinen Mehrwert. Auf dem Weg etwa zu dienstlichen Terminen sieht das anders aus: Vor einer längeren Autofahrt zu einem festen Termin ist die Information, daß ein wichtiges Stück Strecke gesperrt ist, durchaus etwas, was man im Vorfeld für die Reiseplanung wissen mag. Der allgemeine Weg, der immer funktioniert, ist proaktives Suchen. Ich weiß, wo ich hin muß und wann ich dort zu sein habe, damit habe ich eine Idee, wann ich losgefahren sein will, und plane noch etwas Luft ein. Dabei tue ich eigentlich auch nix Anderes als Google Now – ich verknüpfe verschiedene Informationen (in meinem Kopf bzw. meiner Planung) mit “öffentlichen Informationen” und handle entsprechend. Aber ich muß es selbst tun. Ich muß einen Algorithmus manuell durcharbeiten, um zu diesem Ergebnis zu gelangen; dabei gibt es eigentlich keinen Grund, das manuell zu tun. Strenggenommen könnte der Algorithmus für meine gesamte Reiseplanung (angenommen, ich habe mehrere Termine pro Tag) so laufen: “Eingangsdaten” sind meine Termine (und die zugehörigen Treffpunkte), aus denen mir die Logik einen passablen Reiseplan erstellt und mir die jeweils interessanten Informationen zeitnah anzeigt, mich also im schlimmsten Fall auch schon früher als geplant wecken kann, sollte es gravierende Verzögerungen geben. Travelling Salesman in der technischen Praxis.

Aber auch in weniger komplexen Fällen kann eine automatische algorithmische Verknüpfung von Informationen durchaus spannend sein – etwa in dem klassischen Touristenproblem, Dinge im “Umkreis” finden zu wollen. Das ist ein kleineres, deutlich lösbareres Problem, vorausgesetzt, ich habe eine hinreichend schnelle Verbindung und der Algorithmus kennt meinen Standort hinreichend präzise. In all diesen Situationen kommen wir mit Smartphones und Apps wie Google Now an den Punkt, an dem Technologie es langsam, aber sicher schafft, die Idee eines PDA im Sinne eines “Personal Digital Advisors” umzusetzen – eines handlichen, immer greifbaren Geräts, welches nicht nur Daten speichert und aufhebt, sondern auch imstande ist, augenblicksabhängig aus Verknüpfungen dieser Daten tatsächlich hilfreich und nützlich zu sein in einem Maße, das über die bloße fixe Erinnerung (“Du mußt morgen nach Hannover fahren”) hinausgeht. Ist das also schlecht?

Nein. Aber es gibt eine klare Vorbedingung: Für qualifizierte Aussagen benötigen die Algorithmen Daten. Um meine privaten Daten mit öffentlichen Daten verknüpfen zu können, muß der Dienst, der das tut, zwingend Zugriff auf beides haben, sonst funktioniert die Idee nicht. Das ist nicht einmal nur im Digitalen so: Mein Sekretär (so ich denn einen hätte) könnte mich auch nur an Termine erinnern, nur bei der Realisierung von Projekten helfen, von denen er weiß und in die er involviert ist. Halte ich das sprichwörtliche Buch an dieser Stelle geschlossen, geht das eben nicht. Im Umkehrschluß: Anwendungen wie Google Now sind nur dann nützlich, wenn ich bereit bin, dem jeweiligen Anbieter (hier eben Google) möglichst viele auch meiner privaten Daten, möglichst viel Informationen über mich selbst anzuvertrauen. Will ich nicht, daß Google weiß, wann und wo ich Geschäftstermine habe, dann nützt mir das Werkzeug so nichts.

Und damit sind wir wieder beim Anfang, an diesem Punkt finde ich es interessant, die Diskussion über Datenschutz, Datensammlung, Privatsphäre und dergleichen um diesen Aspekt zumindest zu erweitern – nämlich um den, daß Online-Dienste wie Google (die hier nur exemplarisch für viele andere stehen) tatsächlich versuchen, mit Informatik, mit leicht zugänglichen Geräten und Diensten Technologie für eine breite Masse von Menschen nützliche Werkzeuge zu schaffen. Einen Zwang, das zu nutzen, gibt es nicht, ganz davon abgesehen, daß selbst diese Einordnung eines Dienstes oder einer App in “nützlich” oder “nicht nützlich” sehr individuell, möglicherweise sogar individuell situationsabhängig sein könnte. Das gilt nicht nur für Google Now, sondern auch etwa für die Suchmaschine und die “Filterblase”: Manchmal will ich kontextualisierte Suchergebnisse sogar, weil sie unter Umständen die Dinge vereinfachen. Aber eben nicht immer. Was bleibt, sollte eine bewußte und informierte Fallentscheidung sein – wie eben für mich die Entscheidung, bis zu welchem Punkt und in welchem Umfang ich Google Now nutzen kann und werde, und ab welchem Punkt bzw. für welche Dinge eben nicht mehr. Aber die Ideen und Ansätze per se sind zumindest interessant, und eine Diskussion darüber sollte verschiedene Perspektiven betrachten, zu der auch Privatsphäre und Datenschutz gehört.

Das ändert nichts daran, daß ich mir dann und wann eine Öffnung dieser Lösung bzw. eine Entwicklung in dieser Richtung wünschen würde, der solche Verknüpfungen von Daten lokal, auf meinem Gerät, mit Daten aus verschiedenen Quellen unabhängig von einem zentralen Server durchführt. Für so etwa würde ich wohl sogar Geld ausgeben…

27. Juni 2015

Filed under:

google , postprivacy , privacy